"Als Sarja Sillah aus seinem Zelt springt und losläuft, tastet er in der linken Tasche seiner Jogginghose nach seinem Reisepass, Republik Gambia, Passnummer PC 099542. Nur für den Fall, dass es diesmal klappt. Die Morgensonne hat ihn geweckt, vielleicht wird dieser Tag etwas für ihn übrighaben. Sarja Sillah läuft durch den lichten Wald, der die bewohnte Welt von den Erdbeerplantagen trennt. Es ist so still, dass er das Knacken der Kiefernnadeln unter seinen Schritten hört. So früh sind nicht einmal die Bauern mit ihren Treckern unterwegs – beruhigend, dass auch die Guardia civil noch schläft.
Schon hundert Mal ist er diesen Weg gegangen, jeden Morgen, vorbei an den Leitungsmasten, die den spanischen Bauern Strom bringen. Vorbei an den Bewässerungsrohren, von denen Sarja Sillah einige in den Wald geschleppt und zu Zeltstangen gebogen hat, vorbei an den Plastikplanen, die er als Zeltdach über die Stangen gezogen hat, vorbei an den Hydranten, aus denen er sich heimlich Wasser gezapft hat, vorbei an den Pappkartons, von denen er sich ein paar genommen hat, weil er zum Schlafen eine Unterlage braucht. Er, der ehemalige Bauarbeiter aus Madrid, hat sich zum Spezialisten für unbeobachtete Augenblicke entwickelt. Er schleicht um die Felder wie eine Hyäne, die sich fressenden Löwen nähert. Die Erfahrung sagt der Hyäne, dass sie warten muss, bis sich die Löwen von den Resten abwenden.
Sarja Sillah, laut Reisepass geboren am 1. Januar 1966 in Mandinary, Gambia, läuft fast eine Stunde an der menschenleeren Straße entlang, bis er endlich an der elf-Tankstelle ist, wo er jeden Morgen nach Arbeit fragt. »Wir haben nichts.« Er fragt im Telefonladen. »Wir haben nichts.« Er fragt in der Bar El Fresón, große Erdbeere, wo die Polizisten gleich ihren Morgenkaffee trinken werden, bevor sie wieder durch die Wälder patrouillieren und die Afrikaner warnen: Wenn ihr weitere Zelte aufbaut, reißen wir euer Lager ab.
In der Bar sagen sie im Radio, dass jede Minute tausend Spanier ihren Job verlieren. Dann wird die Meldung korrigiert: pro Minute ein Spanier.
Palos de la Frontera, Südspanien. Costa de la Luz, Küste des Lichts. Hier stach Christoph Kolumbus im Jahr 1492 in See, danach kam 460 Jahre nichts, dann kamen die Erdbeeren, die schließlich zu Massenwaren in Plastiktunnels wurden, am Ende zu globalisierten Erdbeeren, Nachschub für die Supermärkte in Frankreich, England, Italien, Deutschland. Palos de la Frontera, Europas Hauptstadt der Erdbeere, 80000 Feldarbeiter.
Ein Helfer auf dem Acker verdient hier 36,50 Euro am Tag. Das war nicht verlockend, als Spanien noch Bauarbeiter und Kellner und Küchenhilfen brauchte. Aber jetzt, in der Krise, sind die Erdbeeren Sarja Sillahs Hoffnung. Seine Tage verbringt er auf der Straße, seit November schon. Er läuft und fragt, er muss sich bewegen, er rennt gegen die drohende Verzweiflung an, wie alle Leute im Zeltlager. Nachmittags kehren sie von Spaniens Landstraßen in den Wald zurück. Es riecht nach schwelender Holzkohle und verschmorten Pinienkernen.
Die Arbeiter aus Mali haben ihre Zelte neben dem Müllhaufen der Erdbeerbauern gebaut, der Senegal lenkt sich beim Fußball ab. Mauretanien döst, Marokko spielt Karten, Gambia sammelt Brennholz. Spaniens ausrangierte Service-Gesellschaft ist in den Wald gezogen, erhitzt rostige Wassereimer auf Flammen, die aus alten Autofelgen lodern, Wasser für die Wassersuppen, gewürzt mit Paprikapulver, Wasser für die Baumdusche hinter einem Vorhang aus Plastikfolien. Ein Wald hat sich mit hungrigen, schwarzen Männern gefüllt, der Wald der Ausgestoßenen, ein verstecktes Afrika."
Die Vertreibung, Die Zeit.
(My translation:
"When Sarja Sillah leaves his tent, he touches the left pocket of his jogging trousers to check if his Gambian passport, number PC099542, is still there. He carries his passport just in case that this time he will be lucky. He woke up with the light of the morning sun, maybe this day will bring him something new. Sarja Sillah walks through the forest that draws the line between the urban world and the plantations of strawberries. The morning is so silent that he can hear the pine leaves cracking under his feet. It is too early to find the farmers working on the fields. It is specially comforting that also the Guardia Civil still sleeps.
He has already done this path one hundert times, every morning, following the pylons that provide electricity to the spanish farmers. Following the water pipes that Sarja Sillah also uses as masts for his tent. Following the plastic sheets that he uses as a cover for his tent. He, a former construction worker in Madrid, has become an specialist of the unobserved moments. He sneaks through the fields like a hyena that approaches the hungry lion. The experience tells the hyena to wait until the lion finish his meal and leaves its remains.
The passport of Sarja Sillah says that he was born on Januar 1st, 1966, in Mandinary, Gambia. He walks almost one hour across the empty streets until he reaches an Elf gas station, where every morning he asks for a job. "We have nothing". He asks in the telephone shop. "We have nothing". He requests a job at the Bar El Fresón, where the police will also take the first coffee of the day before going out to the forest to warn the Africans: if you keep building tents, we will dismantle the camp.
At the bar El Fresón he listens the radio news bulletin informing that every minute thousends of Spaniard lose their jobs. Later the report will be corrected: every minute, one Spaniard.
Palos de la Frontera, South of Spain. Costa de la Luz. From here began Cristobal Colon the travel to America. Later, for 460 years happened nothing, then came the strawberries that were tranformed into a mass consume product for supermarkets in France, England, Italy Germany. Palos de la Frontera, european capital of the strabwerries, 80.000 workers on the field.
Working on the fields you can earn 36,5 euros a day. That was not an attractive salary when Spain needed more and more workforce on the agricultural and service sectors. But now, with the crisis, the strawberries are the Hope of Sarja Sillah. Since november he spends his time on the streets. He walks and walks, he needs to move, he runs against the doubts that shadow his future, like everybody in the tents camp. At Midday they go back to the forest. There you can smell burning coal and charred pine nuts.
The workers from Mali have their tents next to the heap of rubbish. The Senegalese distract themselves playing football. The Mauritanians take a nap, people from Morocco play cards and the Gambians collect some wood. The spanish social service staff has moved to the forest to attend them. They provide them with old buckets used before for cars. Water for the soups, food, water for improvised showers under the trees. The forest is full of hungry black men. This is the forest of the outcasts, a hidden Africa.")
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