Sie haben also keine persönliche Geschichtsphilosophie?
Doch: Den Darwinismus. Ich bin kein Hegelianer. Ich glaube wirklich an den Zufall, nicht daran, dass wir Menschen uns vom Tier zu einem Engel entwickeln.
Aber natürlich gibt es Bedingungen, unter denen sich höhere Stufen der Zivilisation entwickeln. Sie haben es gerade schon erwähnt: Gleichzeitigkeit. Die Dichte großer Metropole. Und Stabilität. Es ist etwas dran an dem, was Flaubert sagte: Ich bin im Leben ein Bürger, damit ich in meiner Kunst radikal sein kann. Um ein Revolutionär zu sein, brauchen Sie Stabilität. Freud brauchte dieses bequeme bürgerliche Leben mit vielen Büchern um sich herum und mit viel Zeit, um nachzudenken. „Interessante Zeiten“ sind ein Fluch. Denn dann kommt man nicht zum Denken. Freuds Epoche war repressiv, aber sie bot diese Stabilität.
Sie wollen aber jetzt nicht der Repression das Wort reden?
Oh nein. Freud hat zwar gesagt, Zivilisation braucht Repression, aber er hat auch gesehen, dass sie ihre eigenen Probleme produziert. Ich glaube nicht, dass gute Kunst Repression braucht. Aber es gibt sowieso keine absolute Freiheit. Schauen Sie uns an!
Rüdiger Suchsland, Frankfurter Allgemeine Zeitung. Ein Gespräch mit David Cronenberg.
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